# Prolog/5: * Im Kaleidoskop der Geschichte

Ich habe sieben Schlüsselbegriffe und damit sieben Themen gewählt, die als Variationen meines Leitmotivs „Magie der Natur“ aufzufassen sind. Sie werden jeweils in sieben Kapiteln abgehandelt, sozusagen variiert, sodass sich insgesamt 49 Kapitel ergeben – in lockerer Folge und ohne Vorgabe von historisch oder systematisch fixierten Leitplanken. So entstehen in der Anordnung des Materials anachronistische Effekte, die insoweit willkommen sind, als sie verborgene Inhalte zutage fördern und für die Begrenztheit unseres Wissens sensibel machen können. Die sieben Schlüsselbegriffe oder Teile der Abhandlung verweisen in vielfältiger Weise aufeinander: (1) Der Placebo-Effekt bedeutet eine Paradoxie: Die Wirkung eines Arzneimittels wird einerseits an dessen Materialität festgemacht, andererseits aber billigt man aber auch einem immateriellen Faktor Heilkraft zu, der mit seiner Verabreichung verknüpft ist. Die methodische Kunst der Arzneimittelforschung besteht nun darin, diesen immateriellen Faktor herauszurechnen, um die Wirkung des „wahren“ Arzneimittels, das in der Fachsprache als Verum bezeichnet wird, zu bestimmen. (2) Das Wahrnehmen und Gebrauchen der Natur als Heilquelle lässt den Menschen von einer heilkräftigen Natur umgeben erscheinen, die auch in ihm selbst als „Lebenskraft“ steckt. Vor allem die Naturheil- und Lebensreformbewegung in den Jahrzehnten um 1900 erhoben „die“ Natur zum Massenidol, das sich zu Propagierung sozialrevolutionärer Ziele vorzüglich eignete. (3) Die Suggestion als Schlüsselbegriff der modernen medizinischen Psychologie und Psychotherapie thematisierte die „Macht des Geistes über den Körper“. Die Suggestion entpuppte sich somit als eine nutzbare Heilkraft, die im Nervensystem des Kranken durch gezielte Interventionen mobilisiert werden könne. Die „Einbildungskraft“ wurde in der akademischen Medizin vor allem durch den Hypnotismus neu definiert und praktisch-therapeutisch operationalisiert. (4) Das Fluidum als kosmische Kraft schien den Menschen in ein Meer der natürlichen Magie zu tauchen. Der animalische Magnetismus (Lebensmagnetismus, Mesmerismus), wie er von dem in Wien und später in Paris wirkenden Arzt Franz Anton Mesmer Ende des 18. Jahrhunderts begründet wurde, erklärte seine erstaunlichen Phänomene durch die Annahme dieses physikalisch gedachten, aber wissenschaftlich nicht nachweisbaren Fluidums. Die Magie der Natur wurde durch die Fluidumtheorie zu einer erfahrbaren und therapeutisch nutzbaren Kraft. (5) Die ,magia naturalis (natürliche Magie) kann als Programm der naturwissenschaftlichen Entzauberung dämonischer, „übernatürlicher“ Vorgänge und Praktiken durch „philosophische“ Naturforschung begriffen werden, wozu in Renaissance und früher Neuzeit insbesondere Alchemie und Astrologie zu zählen sind. Die natürliche Magie wollte teuflische Hexenwerke, dämonische Einflüsse, schwarzmagische Praktiken auf „natürliche“ Vorgänge zurückführen, nämlich auf das verborgene Wirken der Natur selbst. Letztlich erschienen alle Naturdinge (res naturales) als potenzielle Träger einer Heilkraft, die der Naturforscher, insbesondere der Arzt, durch Erfahrung und Wissen nutzbar zu machen habe. (6) Natura tauchte im hohen Mittelalter als göttliche Frau am Horizont der gelehrten Welt auf und nahm im Laufe der Neuzeit unterschiedliche Gestalt an: von der sophia bei Albrecht Dürer bis hin zur vérité in der Französischen Revolution. Sie mischt sich in ihrer Gestalt und Funktion sowohl mit weiblichen Gottheiten der vor- und nichtchristlichen Antike, wie etwa Isis und Diana, als auch mit der christlichen Gottesmutter, der Jungfau Maria. Natura erschien in unterschiedlichen Personifikationen als Jungrau, Frau und Mutter, Quelle des Lebens, rettende Schutzmacht und Vermittlerin göttlicher Heilkraft. (7) Schließlich soll Eros ins Auge gefasst werden. Interessant ist hier die „magia sexualis“, die Magie des Geschlechtslebens, die in der magia naturalis immer präsent war − narrativ, symbolisch oder mystisch. Es gilt, die historischen Variationen im Zusammenspiel von Liebe, Eros und Sexualität genauer zu studieren. In ihnen spiegelt sich vielleicht am Intensivsten die Idee des Heilens, aber auch die Erfahrung des Leidens und Sterbens. Die überlieferten Diskurse über die „Liebeskrankheit“ zeigen ähnlich wie die gegenwärtigen Lehren der Sexualmedizin eine fragwürdige wissenschaftliche Dogmatik, die dem normativen Menschenbild der Medizin entsprach. Die Rückbesinnung auf den Topos von der Heiligen Hochzeit und die kulturhistorisch bezeugten Erfahrungen einer erotisch getönten unio mystica soll verdeutlichen, dass Liebe und Sexualität, Spirituelles und Biologisches, nicht immer schon als unüberbrückbare Gegensätze angesehen wurden – und dass der Mensch sogar lernen kann, Naturtriebe und Gottesliebe erotisch ineinander übergehen zu lassen. Dieser siebte und letzte Abschnitt ist deutlich umfangreicher geraten als die die vorhergehenden sechs Abschnitte. Denn er schlägt noch einmal den Bogen zur Gegenwart und setzt sich mit dem auch für die Heilkunde zentralen Problem der „Erotik“ auseinander, dessen Tiefen- oder Höhendimension im heutigen Verständnis von „Sexualität“ als einem physiologisch determinierten Vorgang zumeist ignoriert wird. Unsere Variationen über die Magie der Natur als einem Motiv der Heilkunst werden sich hüten, Kurpfuschertum und Scharlatanerie als eigenständige Kategorien der Medizingeschichte zu beleuchten, da entsprechende Zuschreibungen zeitbedingt sind und vom jeweiligen Standort des Beurteilers abhängen. Sie behindern eher eine ideengeschichtliche Rekonstruktion als sie zu fördern. Denn sie setzen eine kategoriale Unterscheidung zwischen falscher, vorgespiegelter oder illusionärer und richtiger, objektiver oder wissenschaftlicher Heilkunst voraus. Diese Grenze aber war (und ist) vielfach durchlässig und kann nicht eindeutig und für alle Zeiten gültig gezogen werden. Am Beispiel des anregenden und illustrativen Buches „Quacks“ des englischen Medizinhistorikers Roy Porter sei dies veranschaulicht.[1] Er war sich durchaus bewusst, dass der Begriff des Kurpfuschers oder Quacksalbers (quack) von jeher schillernd und pejorativ war und wollte ihn lediglich als einen Begriff der historischen Analyse ohne jegliche Wertung benutzen. Er wollte auf keinen Fall ehrwürdigen Ärzten betrügerische Kurpfuscher im Sinne einer „whig history“ gegenüberstellen. Gleichwohl folgte Roy Porter im Großen und Ganzen doch der herkömmlichen Perspektive und blickte auf die seltsamen Auswüchse mit dem Amüsement eines Betrachters, der als Sozialhistoriker mit der Gnade der späten Geburt gesegnet ist. Hierzu passt, dass in seiner kenntnisreichen und differenzierten Studie die verschiedenen Konzepte häufig mit Karikaturen illustriert und letztlich selbst zu Karikaturen werden, welche implizit der wahren, wissenschaftlichen Medizin, die ja von der Untersuchung weitgehend ausgeschlossen bleibt, gegenüber stehen. Dies wird etwa dort deutlich, wo Porter James Graham und Franz Anton Mesmer miteinander verglich, zwei umstrittene ärztliche Heilkünstler des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Während er Graham offenbar unschwer der Gruppe der „fakers und charlatans“ zuordnen konnte, billigte er Mesmer (medizinhistorisch nicht ganz korrekt) immerhin zu, bewusst psychotherapeutische Techniken gegen psychosomatische Störungen angewandt zu haben. Die Bestimmung (destiny) des Mesmerismus habe eben in der psychiatrischen Anwendung des Hypnotismus gelegen.[2] Diese rückläufige Interpretation aus Sicht der Psychiatriegeschichte kann also Mesmer vom Vorwurf der Scharlatanerie freisprechen – was natürlich jene Zeitgenossen nicht vorhersehen konnten, die ihn damals tatsächlich als einen Scharlatan erlebten und attackierten. Kurzum: Die Kategorie „Betrüger und Scharlatane“ kann zu unserer Studie wenig beitragen. Vor allem hat sie keine besondere Affinität zur „Magie der Natur“, auch und gerade dann, wenn sich zum Begriff „Scharlatanerie“ fast automatisch die Assoziation „Magie“ im Sinne betrügerischer Zauberkunst einstellt. Eine sachgerechtere Einschätzung von James Graham lieferte übrigens die Londoner Schriftstellerin Lydia Syson (Kap. 45).[3] Karikaturen können für den Betrachter verschiedene Funktionen haben: Sie können dazu dienen, seine Anschauungen und Werte zu bestätigen, indem sie eine Sache, von der man sich abheben will, lächerlich machen und entwerten; sie können aber auch auf einen Sachverhalt hinweisen, der die eigenen Anschauungen und Werte in Frage stellt und eine kritische Sensibilisierung gegenüber eigenen Selbstgewissheiten enthält. Letztere Funktion halte ich für interessanter. „Scharlatenerie“ kann nämlich insofern aufklärend wirken. Oft sagt nämlich der Vorwurf der Scharlatanerie mehr über diejenigen aus, die ihn erheben, als über diejenigen, die der Scharlatanerie bezichtigt werden. Porter unterstreicht, dass viele des Betrugs Angeklagte wohl weniger andere, als vielmehr sich selbst betrogen hätten.[4] Das Problem der Scharlatanerie als bewusster Betrug und als Selbstbetrug war (und ist) aber keineswegs ein Spezifikum der Marktschreier und unorthodoxen Heiler. Es betraf (und betrifft) alle Heilberufe und insbesondere den ärztlichen Berufsstand. Beispielhaft sei hier nur an die gegenseitigen Bezichtigungen der Paracelsisten und Anti-Paracelsisten im 17. Jahrhundert erinnert. Offenbar gibt es eine Dialektik der wissenschaftlichen Medizin, wodurch dogmatisch fixierte Erkenntnisse zu ideologischer Verblendung und systemimmanenter Scharlatanerie führen können. Diese Bemerkung sei vorangestellt, da sich meine Untersuchung mit einigen Konzepten auseinandersetzt, die üblicherweise dem Scharlatanerie-Verwurf ausgesetzt waren oder noch sind. Biomediziner würden hier als erstes die Frage stellen, was denn an diesem oder jenem Konzept „dran“ sei, ob da mehr als bestenfalls eine „Placebo“ gewirkt haben könne. Eine ideengeschichtliche Analyse kann schon aus methodischen Gründen hierauf keine Antwort geben, wohl aber zur kritischen Selbstreflexion jener beitragen, die für ihr eigenes Denken und Handeln absolut den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben.    Wenden wir uns nun noch einmal der Problematik der diachronen Geschichtsschreibung im Sinne der Fortschrittsgeschichte zu, die bei einem ethnologischen Zugriff wie dem von Leander Petzoldt (siehe oben) zwar nicht im Vordergrund steht, aber implizit doch prägend ist, wie die These von der „Volksmagie“ als „abgesunkem“ Wissen erkennen lässt. In den 1960er Jahren kritisierte der Konstanzer Literaturwissenschaftler Hans Robert Jauß in programmatischen Schriften die diachrone Geschichtsschreibung.[5] Dabei berief er sich vor allem auf den Journalisten und Filmwissenschaflter Siegfried Kracauer, der den Anspruch einer allgemeinen Geschichtsschreibung (general history) bestritten habe, „Ereignisse aller Lebensbereiche in der chronologischen Zeit als einen einheitlichen, in jedem historischen Augenblick konsistenten Prozeß begreifbar zu machen. Dieses Geschichtsverständnis, immer noch im Banne von Hegels Begriff des ‚objektiven Geistes’ stehend, setze voraus, daß alles, was sich gleichzeitig ereignet, gleichermaßen vom Moment geprägt sei, und verdecke damit die faktische Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen.“[6] Es gehe um Momente ganz verschiedener Zeitkurven, um die von Kracauer so bezeichnete „Koexistenz des Gleichzeitigen und des Ungleichzeitigen“.[7] Die Geschichtlichkeit der Literatur trete an den „Schnittpunkten von Diachronie und Synchronie“ zutage.[8] Die gesellschaftliche Funktion der Literatur werde dort manifest, „wo die literarische Erfahrung des Lesers in den Erwartungshorizont seiner Lebenspraxis eintritt, sein Weltverständnis präformiert und damit auch auf sein gesellschaftliches Verhalten zurückwirkt.“[9] So präge die Literatur die Vorstellung von Gesellschaft, die ihre Voraussetzung sei, selbst wiederum mit. Zentral für diese literaturwissenschaftliche Argumentation war der Begriff des „Erwartungshorizonts“ des Lesers, der dessen Erfahrungen betrifft. Dieser sei „als diejenige Instanz zu verstehen, vor der sich die Artikulation von Fragen der Lebenspraxis an die Kunst wie auch der Umschlag ästhetischer Erfahrung in ein präfomierendes Weltverständnis vollzieht.“[10] Analog zu Jauß’ Ansatz könnte man sich auch „Medizingeschichte als Provokation für die Medizin“ vorstellen. Letztlich würden wir uns damit auf dem Gleis von Karl Popper bewegen, der davon ausging, dass jede Hypothese wie jede Beobachtung, ob wissenschaftlich oder vorwissenschaftlich, immer bestimmte Erwartungen voraussetzt, „die den Erwartungshorizont konstituieren, der erst jene Beobachtungen bedeutsam macht“.[11] Gerade durch Falsifikation unserer Annahmen kämen wir nach Popper in Kontakt mit der Wirklichkeit – so wie ein Blinder, der gegen ein Hindernis läuft und so von dessen Existenz erfährt. Wir würden hier einem Modell von trial and error folgen, bei dem gerade die negative Erfahrung, das, was dem Erwartungshorizont widerspricht, zu neuer Erkenntnis beiträgt. Meine Sichtweise lässt sich am ehesten mit dem Schauen in ein Kaleidoskop vergleichen. Dieses Instrument des Sehens war bereits in der Antike bekannt und wurde vom schottischen Physiker David Brewster im frühen 19. Jahrhundert neu konstruiert.[12] Als er es 1817 als Patent anmeldete, war die Zeit günstig. Romantische Naturphilosophie, spekulative Experimentierlust und Interesse an zauberhaften Eindrücken förderten den zeitgenössischen Absatz des Kaleidoskops. Es wurde noch Mitte des 19. Jahrhunderts unter die Apparate der „natürlichen Magie“ gezählt, die tendenziell zu Betrug und Aberglauben beitrügen.[13] Im Kaleidoskop werden Gegenstände durch Spiegelungen in wunderbar symmetrischer Gestalt sichtbar gemacht, die sich durch Bewegen, durch Schüttel des Instruments in immer neuen Formen offenbaren. Bespiegeln wir historische Materialien mit einem solchen Sehapparat, so lassen sich darin bestimmte Ideen in immer neuer Komposition bewundern. Im Kaleidoskop der Geschichte werden immer neue Bildvarianten kreiert und dem Betrachter als prachtvolle Lichtspiele dargeboten. Nichts anderes meine ich mit „historischen Variationen“. Letztlich geht es um das Sehenlernen historischer Quellen, das nicht auf ein Bild fixiert bleibt und davon hypnotisiert wird. Der Sehende setzt mit dem Kaleidoskop sein Bild immer wieder in Bewegung und lässt sich davon überraschen, in welch unterschiedlichen Figuren es sich zeigen mag. In diesem Sinne soll in erster Linie das Heilen als Inbegriff jeglicher Heilkunst im Kaleidoskop der Geschichte betrachtet werden. Die Wissenschafts- und Kulturgeschichte stellt uns viele Spiegel bereit, von denen die meisten im alltäglichen Wissenschaftsbetrieb verhangen werden, um diesen nicht durch Reflektionen zu irritieren. Ich habe versucht, möglichst viele Spiegelungen zuzulassen und, bildlich gesprochen, mein Kaleidoskop in mehreren Durchgängen immer wieder zu schütteln, um neue Muster studieren zu können. Als Motto ließe sich auch sagen: Sehen lernen, was andere schon gesehen haben, in dem Bewusstsein, dass nur so auch Neues sichtbar werden kann. Ich entfalte das, was ich zu erzählen habe, in einem „Fließtext“, wie der Fachausdruck heißt. Es gibt also keine Anmerkungen und damit keinen Begleit- oder Subtext. Ich habe darauf verzichtet, Hauptsächliches und Nebensächliches, Wichtigeres und Unwichtigeres sichtbar voneinander abzugrenzen und stattdesssen versucht, alle Elemente der Darstellung gleichermaßen wichtig zu nehmen. Dies bedeutet die bewusste Beschneidung oder auch „Unterdrückung“ von Informationen, die kaum mehr als überflüssiges Beiwerk darstellen würden. Hierzu gehören etwa die Lebensdaten der genannten Personen, biographische Abrisse sowie die Anreicherung von geschilderten Ereignissen durch Assoziierung fernerer Begebenheiten. Was ich allerdings durchgehend sehr genau genommen habe, sind die exakten, d. h. in der Regel seitengenauen Quellennachweise von direkten oder indirekten Zitaten sowie Gedanken, die ich bewusst von anderen Autoren übernommen habe. Sie ermöglichen dem Leser eine durchgehende Orientierung an meinen jeweiligen Quellen. In den Kapitel- und den Zwischenüberschriften habe ich auf Eigennamen (mit Ausnahme von „Maria“) und Zeit- bzw. Epochenangaben verzichtet, um „die Sachen selbst“ in den Vordergund zu rücken und Klischees oder auch Irritationen, die durch die Hervorhebung bestimmter Namen und Zeiten geweckt werden mögen, zu vermeiden. Wer kann schon etwas mit Jane Leade oder Caroline de la Motte Fouqué in einer Zwischenüberschrift anfangen, über deren Werk ich ausführlicher berichte? Und würden bekannte Namen wie Paracelsus oder Sigmund Freud in der Überschrift den Leser gedanklich nicht auf ausgetretene Pfade und vielleicht sogar auf eine falsche Fährte locken? Oder ihm, was noch problematischer wäre, suggerieren, das in diesem oder jenem Abschnitt der betreffende Autor und sein Konzept am rechten Platz „abgehandelt“ und „eingeordnet“ würdem? Je wichtiger mir bestimmte Autoren und ihre Konzepte erscheinen, umso häufiger tauchen sie immer wieder unvermutet auch in anderen Kontexten auf, so dass Paracelsus, Mesmer oder Freud, um nur drei mir wichtige Namen zu nennen, meine Überlegungen sozusagen ständig begleiten. Ich wollte deshalb auf ein solches plakative name dropping in den Überschriften verzichten und den Leser selbst seinen Weg finden lassen. Dieser mag einem Pfad durch ein wildes Gebirge ähneln, der sich den landschaftlichen Gegebenheiten anzupassen hat und nicht willkürlich angelegt werden kann. Ich hoffe, dass ich das Gebirge einigermaßen realistisch ins Auge gefasst und gangbare Überwege gefunden habe. Es ging mir nicht um das Erklimmen eines Berggipfels – eine beliebte und gerne ins Bild gesetzte Metapher gegenwärtiger Wissenschaftsförderung. (Abb. [i])

Anmerkung vom 11. Mai 2015:

Die Metaphorik des Berggipfels, dessen Erreichen der wissenschaftlichen „Exezellenz“, den „Spitzenforschern“ vorbehalten ist, scheint beliebt zu sein. Bereits Medizinstudierenden wird diese Metaphorik nahe gebracht, wie ein Beispiel aus Bonn zeigt. Die betreffenden Bilder sind in meinem Magic of Nature – Supplementary Blog zu sehen.

Vielmehr bekenne ich mich zum Über-Weg: zur Wieder-Holung, An-Eignung, Über-Nahme von Ideen, was sich vom Plagiat dadurch unterscheidet, dass die Urheber gewürdigt werden, über die man sozusagen hinweggeht. Dabei ergibt sich ein „Mehrwert“, der in der Welt der evaluationsbesessenen Quantifizierung wissenschaftlicher Leistung, wonach nur „Originalarbeiten“ in Fachzeitschriften mit hohen Impakt-Faktoren etwas wert sein sollen, wenig geschätzt wird: nämlich die Verwandlung und Potenzierung von Gedanken anderer zu eigenen Einsichten, die wiederum eine eigentümliche Kraft entfalten können. An manchen Stellen habe ich Texte eigener Schriften in den größeren  Zusammenhang eingepasst. Sie erlangen im neuen Kontext auch eine neue Bedeutung. Auf eine optische Hervorhebung, die den Lesefluss eher stören würde, habe ich verzichtet. Ich bekenne mich guten Gewissens zu diesem Selbst-Plagiat. Es betrifft insbesondere Studien zu Paracelsus[14],   Franz Anton Mesmer[15], Justinus Kerner[16], Gotthilf Heinrich Schubert[17] und Sigmund Freud[18] sowie den „Epilog“[19]. Im Literaturverzeichnis sind die betreffenden Schriften leicht zu identifizieren.


[1] Porter, 2001. [2] Ebd., S. 147. [3] Syson, 2008. [4] A. a. O., S. 11. [5] Jauß, 1967; 1970. [6] Jauß, 1967, S. 57 f. [7] Zit ebd.; Kracauer, 1963, S. 53. [8] Jauß, 1967, S. 59. [9] A. a. O., S. 64. [10] Jauß, 1970, S. 9. [11] Zit. n. Jauß, a. a. O., S. 201. [12] http://de.wikipedia.org/wiki/Kaleidoskop (20.05.2010). [13] Kottenkampf, 1847, S. 22 f. [14] Schott, 1998 [b], 1999. [15] Schott, 1982. [16] Schott, 1990. [17] Schott, 1981 [a]. [18] Schott, 1985 [a] [19] Schott, 2011 [a]
[i] Folder „Pro Geisteswissenschaften“ der VolkswagenStiftung 2010;  → Abb. Folder Pro Geisteswissenschaften [Gen. einholen, unproblematisch]