13. Kap./1 * Böser Mensch, gute Natur?

Die klassische Unterscheidung zwischen dem physischen Übel (malum physicum) und dem moralisch Bösen (malum morale), die im Diskurs von Theologie und Philosophie eine wichtige Rolle spielte, findet sich im Menschenbild der Medizin in vielfältiger Weise wieder. In traditioneller Sicht entsprang das physische Übel der Schwäche und Unvollkommenheit der Schöpfung, der Naturdinge in der Welt, während das moralisch Böse einzig und allein dem Menschen selbst zuzuschreiben sei: seiner „Egomanie“, „Maßlosigkeit“ und „ungezügelten Phantasie“. Der sündige Mensch wurde somit zur Quelle des moralischen Bösen erklärt, die man im menschlichen Organismus lokalisieren wollte. So erklärte der konfessionell umstrittene Theologe Klaus Berger: „der Ort des moralisch Bösen ist das gewissermaßen konzentrisch gelagerte (von konzentrischen Kreisen umgebene) menschliche Herz“.[1] Der Kampf gegen das moralische Böse habe eine klare Strategie: Man könne den Menschen, den „Sünder per se“, exorzieren, für ihn und mit ihm beten, ihn bilden und erziehen.[2]

Für den bereits erwähnten Exorzisten Johann Joseph Gaßner, der im späten 18. jahrhundert wirkte, lagen die Ursachen aller Krankheiten offen zutage: Sie waren durch teuflische Einflüsterungen verursacht und dementsprechend durch Exorzismus zu beseitigen (Kap. 9). Für die psychologische bzw. psychosomatische Medizin im Ausgang von der Psychoanalyse liegt das moralisch Böse als verdrängter Komplex im Unbewussten, von wo aus es wütet und psychisches Leiden sowie somatische Krankheitssymptome verursacht. Die menschliche Natur als solche, der Organismus, ist in dieser Sicht vielleicht schwach und krank, aber nicht böse. Somit erscheinen Todeswünsche und Vernichtungsphantasien, Destruktivität und Hass als Quelle des moralisch Bösen. Eine solche Einstellung macht den Menschen für sein gesundheitliches Desaster letztendlich selbst verantwortlich und spricht ihn schuldig. Er selbst ist es, der nicht nur seine eigene leibliche Gesundheit ruiniert, sondern auch die seiner Umwelt. Die Generalformel ist dann klar: Der böse Mensch zerstört die grundsätzlich gute Natur, auch wenn sie mit gewissen Schwächen tingiert  sein mag.

Haben sich in diesem Dogma Theologie, medizinische Psychologie und Ökologie in einer Art unheiligen Allianz zusammengefunden und aus ihr sogar eine neue Staatsdoktrin geprägt? Der aktuelle Begriff des anthropogenen Klimawandels lässt dies vermuten. Er zeigt den Kern der soeben skizzierten Ideologie an: Der Mensch selbst ist schuld, wenn sich die Erdatmosphäre erwärmt, er selbst heizt das Treibhaus an. Die verheerenden Folgen werden mit vielen bunten Farben ausgemalt. Der Mensch erscheint als der Zerstörer der „Umwelt“ (der er ohne Zweifel auch ist) und insofern als Quelle des Bösen. Die oben erwähnten Naturkatastrophen erscheinen als kleine, vorübergehende Betriebsstörungen im Ablauf der sich im Gleichgewicht befindenden Naturvorgänge, die stabil und sich selbst regulierend verlaufen und – gemäß der Darwin’schen Evolutionstheorie – allenfalls über sehr lange Zeiträume hinweg zu biologisch relevanten Veränderungen führen. Der Begriff der Umwelt, wie er heute gebraucht wird, ermöglicht eine Projektion der Natur nach draußen, eine Reduktion der Natur auf das, was um den Menschen herum ist – und insofern für ihn da ist. Die „Umweltvergiftung“ durch Schadstoffe oder der „anthropogene Klimawandel“ suggeriert vermeintliche Tatsachen: Zum einen, dass die Natur ohne den Menschen an sich rein und insofern gesund sei, und zum anderen, dass primär der Mensch die Natur zerstöre.

Das Grundmuster der Argumentation ist eindeutig: hier die gute Natur, dort der böse Mensch. Dieses Muster stellt den ideologischen Kern der gegenwärtigen Ökologie- und Nachhaltigkeitsdebatte dar. Es ist freilich nicht originell, entspricht es doch all jenen Lehren, die von einem paradiesischen Urzustand und der Vertreibung daraus durch eigene Schuld ausgehen. Die biblische Geschichte vom Sündenfall konnte gerade wegen ihrer kulturhistorischen Verankerung auch im Zeitalter der Naturwissenschaften ihre Deutungsmacht entfalten, und zwar in der zeitgemäßen Form „wissenschaftlicher“ Dogmatik.   Diese betrifft biologische Krankheitslehren ebenso wie naturheilkundliche. So erblickten Degenerationslehre und Eugenik im Missachten der biologischen Regeln der Vererbung eine Sünde wider die Natur. Aber auch die Naturheilkunde reklamierte das naturwidrige Leben als Quelle allen Übels. Die individuelle Krankheit korrespondierte aus der Sicht der Arbeiterbewegung mit der sozialen Krankheit. So begriff  der sozialistische Autor Hermann Wolf  Volksunruhen und Revolutionen als „Gärungen im Volkskörper“, deren Ursache zu beseitigen sei (Kap. 8). [3] Diese klassenkämpferische Modifikation des von Rousseau geprägten Mottos: „Zurück zur Natur!“[4] erinnert an den Song „Macht kaputt was euch kaputt macht“ der Rockband „Ton Steine Scherben“ von 1970.[5] Mit ihm konnten sich revolutionär gestimmte Teile der 68er Studentenbewegung identifizieren. Manche extremistische Gruppierung wie das Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) in Heidelberg schritten dem entsprechend zur Tat.

Ökologisches Denken steht im Gegensatz zu technokratischem. Die ideologische Differenz besteht darin, dass „gut“ und „böse“ dem Begriffspaar Mensch und Natur unterschiedlich zugeschrieben werden. Im technokratischen Verständnis hat der Mensch die gefährliche Natur zu besiegen und ihre Kräfte zu beherrschen, im ökologischen wird der schuldige Mensch zur Umkehr aufgerufen, um die Natur zu retten. Offenbar fällt es schwer, beide Pole zusammen zu denken und anzuerkennen, dass der Mensch selbst als Naturwesen so eingewoben und verstrickt ist, dass sich einseitige Schuldzuweisungen erübrigen. Im Grunde geht es um die alte Frage der Theodizee, die auch im Zeitalter der Informationsgesellschaft weiterhin virulent ist und die noch niemand plausibel beantworten konnte. Der Optimismus von Leibniz war typisch für die Medizin und Naturforschung der frühen Neuzeit und gilt auch in säkularisierter Form für das moderne Vertrauen in den wissenschaftlichen Fortschritt: „Gott ist unendlich, und der Teufel ist eingeschränkt. Das gute kann unendlich fortgehen und zunehmen, und es geht auch unendlich fort; das Böse hingegen hat seine Grenzen.“ [6] Und er folgerte sogar, dass „das wenige Böse, das sich darinnen [im Reich Gottes] befindet, zu dem höchsten Grade des unermeßlichen Guten, das daselbst anzutreffen ist, erfordert werde.“ Die Frage nach dem Ursprung unseres Leidens, nach dem „physikalischen Bösen“ habe viel mit der nach dem Ursprung des „metaphysischen Bösen“ gemein. Leibniz argumentierte, dass entgegen dem Augenschein Leiden und Missgeburten „dem allgemeinen göttlichen Willen gemäß“ seien, die, wenn man sie völlig eingesehen habe, „endlich die schönste Ordnung zeigen“, also „Scheinfehler“ darstellten.[7] So könnten also „wohl angebrachte Dissonanzen […] die Harmonie desto schöner machen.“[8] Das Böse bekomme einen Sinn, indem es das Gute entgegen seiner eigenen Intention befördere, „zu einem größern Gute was beitragen“ könne.[9] Dieser Gedanke habe für die Medizin große Bedeutung, wie Leibniz ausführte: Die Krankheit kann dem Menschen die Augen öffnen und zum Heil führen. Die Krankheit steht sozusagen unter dem Oberbefehl der großen Gesundheit, wie der Teufel unter dem Oberbefehl Gottes. Im frühneuzeitlichen Diskurs über die dämonische Verursachung von Krankheit spielte dieser Optimismus eine wichtige Rolle. Letztlich war die bösen Geister gegen die Macht Gottes machtlos. So propagierte Paracelsus in einer seiner Syphilisschriften den „starke[n] glaub […] one abgötterei“ als stärksten Schutz vor Krankheiten: „wie sie der natur vertrauen, also vertrauen sie auch got“.[10]

Auf den weiten, sich überlappenden Feldern von Ökologie und Esoterik wird immer wieder auf das Grundübel hingewiesen: Der böse Mensch als Verderber der guten Natur. Das schlechte, unökologische Handeln des Menschen, so die Annahme, mache die Natur erst gefährlich und böse, etwa nach dem Leitspruch: „Die Natur hat die Dämonie unseres Handelns aufgenommen.“[11] Gerade der Umgang mit den natürlichen Ressourcen in der Landwirtschaft ist heute ein wichtiges Diskussionsthema. Der Ruf nach einem „ökosophischen“, „nachhaltigen“ Umdenken wird vielfach laut.[12] Allzu leicht verfallen die Rufer einem fragwürdigen Naturalismus, wenn sie von einer harmonischen und kontinuierlichen „Evolution“ der Natur ausgehen, die einen gesunden Naturzustand garantiere, der allenfalls vom bösen Handeln des Menschen bedroht werden könne. Die Natur erscheint in diesem Denken als ursprüngliches Paradies, das sekundär vom Menschen malträtiert, zerstört, vergiftet wurde und somit zu einer Gefahr für ihn wird. Die Natur kann demnach nur insofern böse werden, als sie der Mensch zuvor böse gemacht hat.

Doch es gab bereits in der frühen Neuzeit mit Blick auf Alchemie und Bergbau eine Gegenposition: Die gegenüber dem Menschen harte und geizige Natur sollte sich nicht beklagen, wenn der Mensch sich ihrer bemächtigte, um sein Leben zu erleichtern! Der aus Böhmen stammende Humanist Paulus Niavis veröffentlichte um 1495 ein Werk über den Bergbau im Erzgebirge: „Iudicium Iovis“.[13] Der Kunsthistoriker Horst Bredekamp interpretierte den fiktiven Prozess zwischen Erde und Mensch vor Jupiter als ein „Dokument des Siegeszuges bürgerlicher Natursicht.“[14] Der Mensch wird in der Schrift von Merkur als Mörder der Natur angeklagt: „Du Mörder, schau sie dir an, wenn du noch einen Funken kindlichen Gefühles im Leibe hast, wenn du noch eine Spur Liebe zu ihr empfindest, zu ihr, die dich nicht nur von Kindesbeien an ernährt und am Leben erhält, sondern dich auch nach deinem Tode wieder in ihren Schoß aufnimmst, aus dem du gekommen bist!“[15] Der Mensch dreht jedoch den Spieß um und erhebt seine Gegenklage gegen die Erde: „Warum entziehst du uns das, womit die für die Götter und Menschen bestimmten Dinge geschmückt werden sollen? […] Von der Liebe einer Mutter spüre ich nichts bei dir, wohl aber von der Gesinnung einer Stiefmutter, der wirklich jede Liebe und Zuneigung zu den Kindern, die sie zu erziehen hat, fernliegt.“ [16] Jupiter verweist den Fall schließlich an Fortuna, die als Richterin fungieren und einen „würdigen Spruch“ fällen soll.[17] Diese entscheidet zugunsten des Menschen, der für seine Tätigkeit letztendlich mit dem Tod bezahle: „Es ist die Bestimmung der Menschen, daß sie die Berge durchwühlen, sie müssen Erzgruben anlegen, sie müssen die Felder bebauen und Handel treiben. […] Ihr Leib aber wird von der Erde verschlungen, durch böse Wetter erstickt“.[18] Dieser Richterspruch wird von Jupiter bestätigt. Das Frontispiz des betreffenden Buches illustriert den Gerichtsprozess mit einem einrucksvollen Holzschnitt. (Abb. [i]) Die Frau mit löcherigem Kleid neben dem thronenden Jupiter ist offenbar Natura als angeblich vergewaltigte Erde, die den Menschen in Gestalt eines Bergmanns, der von Bergmännlein umgeben ist, auf der Gegenseite anklagt. Soweit dieser Exkurs in die frühe Neuzeit.

Neben der Klage über den zerstörerischen Umgang des Menschen mit der Natur, die heute von der ökologischen Bewegung lautstark erhoben wird, und der Gegenposition der emanzipatorischen Aneignung der Natur durch den Menschen, die eher von ökonomischer, neoliberaler Seite vertreten wird, zeigt sich neuerdings eine dritte Einstellung: die Natur als Konsumgegenstand, als Wohlfühlfaktor und Lifestyle-Element, als ein Trend „Zurück in den Schoß von Big Mama“.[19] Man spricht von Neo-Nature, um die Genuss verheißende, freundschaftliche Nutzung der Natur zu kennzeichnen. Neo-Nature sei zu „einem der Schlüsseltrends für Gesellschaft, Konsum und Märkte“ geworden, heißt es in einer Publikation des „Zukunftsinstituts“ von Matthias Horx, einem „Trend- und Zukunftsforscher“.[20] Es ist aufschlussreich, womit die „6 wichtigsten Trend-Einflüsse von Neuo-Nature“ identifiziert werden: (1) Natur als „Entschleunigungsraum“ und „Rekreationswelt“, (2) Natur als „Neo-Romantik und neue Spiritualität“, (3) Natur als technologisch verwertbare Inspirationsquelle (Bionik), (4) Natur als Abenteuer und „taktiler Erfahrungsraum“, (5) Neubewertung der Natur in der Erziehung (Natur- und Waldkindergärten) und (6) Natur als „Outdoor-Cocooning“ (Outdoor-Sport-Artikel). [21]  Zu Beginn des 21. Jahrhunderts werde die Natur nicht mehr als „Heilsbringerin und Problemlöserin für alles ‚Schlechte in der Welt’ gesehen. Natur befreit sich damit aus der Vereinnahmung als Katastrophe oder Himmel auf Erden. Natur wird irdisch, diesseitig, ein Teil unserer Welt, nutzbar, Genuss verheißend, zum Partner und zum guten Freund. Neo-Nature entzaubert Natur und macht sie für den einzelnen anfassbar. Damit wird sie zum Teil unseres Lebensstils.“[22]

Dieser Lebensstil wir zumindest in seiner ideologischen Substanz von unterschiedlichen sozialen Schichten und Altersklassen geteilt. So fand ich im Internet einen Dialog, der an Neo-Nature erinnert.[23] In einem esoterischen Internet-Forum zum Thema „Naturverbundenheit“ fragte ein gewisser Elmo, der sich als „Heiler“ bezeichnete, am 22.10.2008: „Hallo! Was bedeutet für Euch Naturverbundenheit? Es grüßt: Elmo!“ Am darauffolgenden Tag bekam er von Tetraktys, einem „Priester“, die Antwort: „hi, viel in die Natur zu gehen! wälder, Kraftorte suchen und ähnlich. aber auch mit Pflanzen kommunizieren, ausreichend natürliche Nahrung… Edelsteine … liebe Grüße tetraktys“.

Wenn die „zweite Natur“, auf die wir anschließend eingehen wollen (Kap. 14), die vom Menschen verwandelte Natur darstellt, so könnten wir hier von einer „dritten Natur“ sprechen. Diese wird wie ein Konsumartikel vermarktet und erscheint absolut verfügbar. Wer sie konsumiert, dem wird ein irdischer Genuss verheißen, jenseits der brutalen Gewalt der ersten Natur und der unterdrückerischen Entfremdung der zweiten. Damit entschwindet jedoch unmittelbares Naturerleben aus der Erfahrung, der Mensch schlüpft gewissermaßen in einen Raumanzug, der ihn weitgehend vom Kontakt mit den Naturdingen abschirmt. So hat der „Jugendbericht Natur“ von 2006 herausgefunden, dass nur jeder dritte Schüler zwischen 12 und 15 Jahren jemals einen Käfer oder Schmetterling auf der Hand hatte. Sicher ist die Feststellung richtig, dass zur Natur immer nur die zurückwollen, die ihr nicht mehr hilflos ausgesetzt sind.[24] Aber um welche Natur handelt es sich, bei der man schließlich anlangen möchte? Die Erscheinungen der Wellness– und Fitness-Bewegung legen nahe, dass es um die „dritte Natur“, eben um Neo-Nature geht.


[1] Berger, 2008, S. 52. [2] A. a. O., S. 57. [3] Wolf, H., 1893, S. 31. [4] Rothschuh, 1983.  [5] http://www.indiepedia.de/index.php?title=Macht_kaputt_was_euch_kaputt_macht (23.09.2010). [6] Leibniz, [1774] 1996, S. 349. [7] A. a. O., S. 254 f. [§ 241]. [8] A. a. O., S. 353. [9] A. a. O., S. 307 [§ 349]. [10] Paracelsus, Ed. Sudhoff, Bd. 7, S. 332 f. [11] Müller-Ebeling, 2000,  S. 15. [12] Herzog-Schröder et al. (Hg.), 2008. [13] Niavis, 1953. [14] Bredekamp, 1984, S. 278. [15] Niavis, 1953, S. 18. [16] A. a. O., S. 32 f. [17] A. a. O., S. 37. [18] A. a. O., S. 38; Bredekamp, 1984, S. 264. [19] Steinberger, 2010. [20] http://www.horx.com (16.06.2012). [21] Kirig / Schick, 2008, S. 8-18. [22] A. a. O., S. 7. [23] http://forum.hermetik.heilen.cc/allgemeines/3635-naturverbundenheit.html (16.06.2012). [24] Steinberger, 2010.


[i] Niavis, 1953; → Abb. Niavis ca. 1495

10. Kap. 4 * Frau Natur im Jugendstil [+ Audio Podcast]

Magic of Nature Lecture 10 K 4:

Der von mir gelesene Text als Audio Podcast zum Herunterladen.

Der Jugendstil spiegelte wie keine andere Kunstform das Empfinden der Lebensreformbewegung wider, was bereits am Beispiel von Fidus angedeutet wurde (siehe oben) . Im Folgenden soll dies an weiteren Beispielen veranschaulicht werden. Die Motive der Natura treten im Werk des Malers und Utopisten Heinrich Vogeler deutlich hervor. Auf dem 1905 in Worpswede geschaffenen Gemälde „Sommerabend“ sieht man ein Konzert im Garten, rechts die Musizierenden, links das Auditorium. (Abb. [i]) Martha Vogeler steht fast überlebensgroß erscheinend im Zentrum an der Gartenpforte und hält einen Windhund an der Leine, der auf der Treppe sitzt. Die mit Blumen umkränzte Laube lässt an einen Paradiesgarten denken, dessen Eingang eine Frau mit Attributen der Natura bewacht. Vogelers Farblithographie zu Gerhard Hauptmanns „Die versunkene Glocke“ zeigt den aus einer Seenlandschaft aufragenden Oberkörper einer jungen Frau, die ihre rechte Hand auf den Boden gelegt hat. (Abb. [ii]) Sie scheint mit dem Erdboden verwachsen − eine Verkörperung der erdgebundenen Natur, die nicht als Medium göttlicher Weisheit erscheint. In Hauptmanns „deutschem Märchendrama“ spielt sie die Rolle der Elfe „Rautendelein“, eines Elementar- oder Naturgeistes in Frauengestalt, die  den Glockengießer Heinrich verzaubert. Ähnlich erdgebunden mutet die Frau auf den Postkarten von Hans Christiansen an. (Abb.[iii]) Die Lithographien zeigen ihren von Rosen umgebenen Kopf mit langen, dicken Haarsträhnen, die wie Wurzeln tief ins Erdreich vordringen. Es existieren mehrere Varianten zu diesem Motiv. Handelt es sich um eine Wassernymphe, die aufgetaucht ist? Oder um eine Erdhexe, wozu das rötliche lange Haar passen würde? Weiterführende Literatur existiert offenbar nicht.[1] Ganz anders imponiert die junge Frau auf dem Ölgemälde „Träume II“ (1902) von Heinrich Vogeler. (Abb. [iv]) Hier begegnet uns quasi die Göttin Natura in Person. Sie sitzt vor einer Blütensonne, die ihren Körper wie ein großer Heiligenschein umgibt, und blickt aufmerksam in den Himmel. Ihr rechter Arm weist auf den mit Gänseblümchen bewachsenen Erdboden, als würde sie himmlische Kräfte dorthin ableiten. Dem Gänseblümchen, volkstümlich auch als „Tausendschön“ oder Maßliebchen bezeichnet, schrieb man wie anderen Frühlingsblumen traditionell besondere Heilkraft zu und verwandte es bei magisch-sympathetischen Kuren.[2] Zudem fällt das durchsichtige Gewand auf, das den Frauenkörper ebenso verhüllt wie sichtbar macht. Der Hinterkopf ist durch Haarzöpfe wie von einer Krone umgeben.

Im Folgenden möchte ich eine Reihe von Abbildungen präsentieren, die dem Katalog der Ausstellung „Jugendstil am Oberrhein“ entnommen sind, die im Badische Landesmuseum Karlsruhe 2009 zu sehen war.[3] Die Bilder zeigen Frauengestalten, die an das Motiv der Natura erinnern und zum Teil fließende Übergänge zu Marienbildern aufweisen. Auf die literarische und ikonographische Verschmelzung von Natura und Maria in ausgehendem Mittelalter und früher Neuzeit werden wir ausführlich eingehen (Kap. 36-42). Die Bildnisse des Jugendstil sind hierzu eine gute Einführung. Das Plakat zur „Basler Elektrizitätsausstellung für Haushalt und Gewerbe“ von 1913, eine Lithographie von Albrecht Mayer, zeigt eine nackte Frau, die einen große leuchtenden Reifen hält, von dem elektrischen Funken in den Nachthimmel ausstrahlen. (Abb. [v]) Frau und Leuchtkreis haben zusammen die Konfiguration einer Glühbirne. Das Plakat zeigt sehr schön, wie moderne Technik und naturphilosophische Symbolik gerade im Jugenstil zusammengingen. Aber auch außerhalb der Kunst war dies bei Illustrationen in technischen Sachbüchern im späten 19. Jahrhundert der Fall (Kapl. 14).[4] Die Illustrierte Elsässische Rundschau zeigte auf dem  Titelblatt (Nummer 1, 1898) eine stattliche Frau in Landestracht. (Abb. [vi]) Sie steht zwischen zwei Weinstöcken, die sich über ihr zu einem halbkreisförmigen Dach mit Weinlaub und Weintrauben vereinigen. Ihr Kopf, von einer Gloriole umgeben, befindet sich im Zentrum des überwölbten Raumes. Ihre Hand greift nach einer Traube. Offenbar ist die Zeit der Weinernte gekommen.

Anmerkung vom 17.11.2014:

Die mythische Figur der römischen Ceres oder griechischen Demeter, der Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit, verkörperte in der Kunst vielfach die Natur. Ein Beispiel stellt die 1928 geschaffene Skulptur „Ceres“ von John Bradley Storrs dar. 

Näheres siehe Supplementary News:

Anmerkung zu 10. Kap. 4 * (Frau Natur im Jugendstil) — Die Göttin Ceres im 20. Jahrhundert

Das Gemälde „Die Frau mit Iris“ von Jean-Jaques Waltz („Hansi“) von 1900 zeigt das im Jugenstil beliebte Motiv der femme fleur.[5] (Abb. [vii]) Iris war in der griechischen Mythologie eine Gottheit, die den Regenbogen personifizierte und als Götterbotin fungierte.[6] Als „Schwertlilie“ (Gladiole) symbolisierte die Iris im Mittelalter tugenhafte Standfestigkeit. In der frühen Neuzeit war die Pflanze, die seit dem Altertum zum Arzneimittelschatz gehört, in europäischen Apotheken üblich.[7] In Volkskunde und Volksmedizin diente die Iris als Mitteldes Abwehrzaubers (Apotropaeum), etwa als Amulett gegen Verwundungen. Das Bild ist also durchaus von der „Magie der Natur“ imprägniert.  Die Kunstverglasung „Dame mit der Taube“ von Emil Großkopf, geschaffen 1902, zeigt die Rückenansicht einer Frau mit langem grünem Gewand mit einer stilisierten Taube über der rechten Schulter. (Abb. [viii]) Sie trägt einen perlenkettenartigen Kopfschmuck, der eine Krone andeutet. Die Taube gilt als tradtionelles Symbol des Heiligen Geistes. Grün gilt in der Ideengeschichte als Farbe der lebendigen Natur. So pries Hildegard von Bingen die „Grünkraft“ (viriditas) als die lebendige Kraft in allen Naturdingen.[8] Mit anderen Wort: Wir haben es hier zumindest andeutungsweise mit einer Darstellung der Natura zu tun. Die stehende Frau mit Palette auf dem Plakat „Kunstausstellung Heidelberg“ (1903) von Hellmut Eichrodt kann als „Personifikation der Kunst“ gedeutet werden.[9] (Abb. [ix]) Sie steht vor einer Silhouette des Heidelberger Schlosses, in festlichem Gewand mit kreisrunden Zweigen als Dekor, das Gesicht andächtig nach oben gerichtet. Sie lässt an die Künstlerin Natur denken, die im Lichte göttlicher Weisheit die Natur zeichnet und ihnen ihre Signaturen verleiht (Kap. 33).

Das Titelblatt des Firmenkatalogs „Pforzheimer Besteck- und Silberwaren-Fabrik“ von 1904 zeigt eine Frau, die einen Silberpokal vor einer Berglandschaft mit Fluss in die Höhe hält. (Abb. [x]) Sie erscheint, umrankt von Weinreben und mit Ohr- und Halsschmuck im Glanz der aufgehenden Sonne, als eine Mischung von Natur und Kunst. Wenn hier die Schmiedekunst angepriesen wird, so auf der Lithographie einer Mannheimer Buchdruckerei die Druckerkunst, personifiziert durch eine blühend aussehende Frau mit einem riesigen Federkiel in ihrer rechten Hand. (Abb. [xi]) Die Graphik „Frühlingslied“ von Franz Hein, entstanden vor 1904, zeigt eine nackte Frau mit langem Haar, die auf einer Harfe spielend und dazu singend durch eine Frühlingslandschaft mit blühenden Bäumen (Kirschblüte?) schreitet. (Abb. [xii]) In der Legende des Ausstellungskatalogs wird die Nacktheit als Zeichen der „Wärme der Jahreszeit“ gedeutet und auf die Freikörperkultur in der zeitegnössischen Lebensreformbewegung verwiesen.[10] Das Bild ist allerdings überdeterminiert. Man kann in der Frau auch die Personifikation einer Naturgöttin oder einer der Musen, der Schutzgöttinnen der Künste, sehen, deren Attribut ebenfalls ein Zupfinstrument, nämlich die Leier (Lyra), war. Als Kontrastbild hierzu erscheint die verschleierte und gekrönte Isis-Natura auf dem Titelblatt von Johann Andreas von Segners „Einleitung in die Naturlehre“, die eine Kithara hält (Kap. 11). Ihr Gewandt muss noch vorsichtig gelüftet werden, während Heins Muse mit dem „Frühlingslied“ auf den Lippen sich selbst schon gänzlich entblößt hat.


[1] Künstlerkolonie […], 2001, S. 441. [2] Marzell, 1932/1933. [3] Jugendstil […], 2009. [4] Zöllner, 1877. [5] Jugenstil […], 2009, S. 46. [6] http://de.wikipedia.org/wiki/Iris_%28Mythologie%29 (29.07.2012) [7] W. Schneider, 1985, S. 111. [8] http://de.wikipedia.org/wiki/Viriditas (9.08.2012) [9] Jugenstil […], 2009, S. 121. [10] Jugenstil […], 2009, S. 296.


[i] Künstlerkolonien […], 2001, S. 282; → Abb. Vogeler Sommerabend  [ii] Künstlerkolonien […], 2001, S. 414; → Abb. Vogeler versunkene Glocke [iii] Künstlerkolonien […], 2001, S. 441; Postkarten (1901); → Abb. Christiansen Postkarten [iv] Künstlerkolonien […], 2001, S. 421; → Abb. Vogeler Träume II [v] Jugendstil […], 2009, S. 21: Abb. 12; → Abb. Jugendstil 25  [vi] Jugendstil […], 2009, S. 35: Abb. 17; → Abb. Jugendstil 35 [vii] Jugendstil […], 2009, S. 46: Abb. 24; → Abb. Jugendstil 46 [viii] Jugendstil […], 2009, S. 79: Abb. 47; http://suite101.de/view_image.cfm/359183 (9.08.2012); → Abb. Dame mit Taube [ix] Jugendstil […], 2009, S. 121: Abb. 78; → Abb. Kunstausstellung Heidelberg [x] Jugendstil […], 2009, S. 265: Abb. 245; → Abb. Firmenkatalog [xi] Jugendstil […], 2009, S. 304: Abb. 309; → Abb. Buchdruckerei [xii] Jugendstil […], 2009, S. 296: Abb. 296; → Abb. Frühlingslied

10. Kap./3 * Krank machende Zivilisation

Dass eine schädliche Umwelt den Menschen krank macht, entspricht einer uralten Erkenntnis. Paradigmatisch ist hier die „Malaria“ zu erwähnen, deren epidemisches Auftreten bereits in altägyptischen Papyri erwähnt wird und die in den hippokratischen Schriften ursächlich von der „schlechten Luft“ (ital. mala aria) aus Sumpfgebieten abgeleitet wurde. So wurde Malaria auch als „Sumpffieber“ bezeichnet. Eine solche geobiologische Erklärung kann sich auch mit dämonologischen Vorstellungen verknüpfen, wie die Krankheitsbezeichnung „Mal-Aire“ im heutigen Ecuador belegt.[1] Die Menschen sind dann aufgefordert, die gefährliche Naturgegend zu verlassen oder sie künstlich zu sanieren, den Sumpf buchstäblich trocken zu legen. Eine andere Konstellation ist jedoch gegeben, wenn die vom Menschen selbst gestaltete Umwelt, seine „zweite Natur“ (Kap. 14), zur Gefahrenquelle wird: Miserable Wohn- und Arbeitsverhältnisse, mangelhaftes Trinkwasser und fehlendes Abwassersystem, Hunger und Krieg. Mit der Herausbildung der modernen Industriegesellschaft und der mit ihr verbundenen Veränderungen der Lebens- und Arbeitsverhältnisse für große Menschenmassen durch die zunehmende Verstädterung mit Elendsvierteln für die Armen, die so genannten Proletarier und Lumpenproletarier, rückte die Kultur bzw. „Zivilisation“ als potenzielle Krankheitsquelle in den Brennpunkt der Gesellschaftskritik, die nicht zuletzt von Stadtärzten („Armenärzten“) und Psychiatern („Irrenärzten“) formuliert wurde. Die „Zerrüttung“ des Nevensystems durch die moderne Zivilisation und die daraus resultierende „Nervenschwäche“ (Neurasthenie) fundierte einen neuen sozialmedizinisch definierten Krankheitsbegriff. Das „nervöse Zeitalter“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schien nun vor dem Hintergrund der Degenerations- und Vererbungslehre aus biologischen Gründen – im Sinne des Biologismus jener Epoche – dem Untergang geweiht.[2] Alle Autoren waren sich in einem Punkt einig: Durch die moderne „Zivilisation“, die im deutschsprachigen Raum nach Kant gerne als oberflächliche Kehrseite der tiefer gehenden „Kultur“ begriffen wurde,[3] seien die gesunden, natürlichen Lebensverhältnisse des Menschen gestört bzw. zerstört worden, so dass dieser der Krankheit anheimfalle.

Letztlich konnten somit alle Krankheiten einschließlich die Grenzbereiche sozialer Verelendung als „Zivilisationskrankheiten“ gedeutet werden. Erstmals wurden solche sozial bedingten Krankheiten in der Aufklärung als Problem erkannt und im Sinne des aufgeklärten Absolutismus zur gesundheitspolitischen Aufgabe erklärt. Beispielhaft war das monumentale Werk „System einer vollständigen medicinischen Polizey“, das Johann Peter Frank, der heute als ein Begründer der Sozialmedizin gefeiert wird, in sechs Bänden zwischen 1779 und 1819 veröffentlichte. Seine Deutung der krankmachenden Lebensverhältnisse in den Ghettos der Juden ist interessant. Zwar galten die Juden im aufgeklärten Absolutismus durchaus als „unreines unglükliches Volk“, als „unreinste Menschen“.[4] Frank aber führte dies nicht primär im Sinne des Antisemitismus auf ihr ererbtes jüdisches „Blut“ zurück, sondern auf die widrigen und ungesunden Lebensverhältnisse in den engen schmutzigen Judengassen. Erst die rassenbiologische Fixierung der Juden ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erreichte jene verhängnisvolle Stigmatisierung, deren letzte Konsequenz die Ausgrenzung und Vernichtung der verhassten „Rasse“ darstellte. Der Kampf der Lebensreformbewegung gegen die krankmachende Zivilisation schloss jedoch keineswegs eine rassistische Ideologie aus, ja, er konnte sich sogar explizit mit ihr verbünden (siehe oben). Dieser Kampf verlief dann an zwei Fronten: zum einen gegen die unnatürliche Zivilisation und zum anderen gegen minderwertige Erbanalgen bzw. minderwertige, das gesunde (arische) Erbgut verunreinigende Rassen.

Welches Ziel strebte das lebensreformerische Pathos „der Sonne entgegen“ an? Der vom zivilisatorischen Elend geplagte Mensch sollte die beengenden und krankmachenden Verhältnisse endlich hinter sich lassen und einer freien und gesunden Zukunft entgegensehen und entgegengehen. Das Motiv der „Freiheit“ war allerdings nicht politisch definiert als demokratische Freiheit im Sinne der Menschenrechte, sondern naturalistisch bzw. biologistisch: Der Mensch sollte in einer freien Natur frei werden und sein Leben gemäß seiner biologischen Vitalität führen können. Die unterschiedlichen Strömungen der Reformbewegung um 1900 – Kleider, Ernährung, Luft, Ehe, Sexualleben etc.[5] – hatten ein gemeinsames Ziel, nämlich den „neuen Menschen“ hervorzubringen. Die Logik folgte dem traditionellen christlichen Verständnis von Wiedergeburt durch Bekehrung und Taufe und insofern zeigte die Lebensreform charakteristische Züge einer religiösen Erweckungsbewegung: Verkündigung des gesund und selig machenden Evangeliums, Bekehrung und geistige Erneuerung sowie mehr oder weniger radikale Änderung der bisherigen Lebensweise. Entscheidend für die soziale Gruppendynamik solcher Bewegungen war die Idee der Missionierung der übrigen Welt, um Gott gewollte Verhältnisse auf Erden zu schaffen. Die Verlegung der entsprechenden Paradiesvorstellungen vom Jenseits ins Diesseits, wie sie in manchen Strömungen der Lebensreform − vor allem in den USA − zu beobachten war, unterstrich deren praktisch-missionarischen Charakter.

Die intellektuelle Schlüsselfigur für die Konstruktion des „neuen Menschen“ (zumindest im deutschsprachigen Raum) war Friedrich Nietzsche. Seine Philosophie reflektierte die kulturpessimistische Stimmung, die Diagnostik der als pathologisch empfundenen Lebensverhältnisse und das Pathos der endgültigen Befreiung von physiologischer Unterdrückung und psychologischer Einschläferung. Der neue Mensch sollte frei vom giftigen „Ressentiment“, von edler Natur, ein „Herrenmensch“, ja, ein „Übermensch“ sein – eine Utopie, die Nietzsche schließlich in „Also sprach Zarathustra“ ausformulierte. Selbstanalyse und Selbstüberwindung waren für ihn die wichtigsten Hebel auf dem Wege zum „Übermenschen“. Doch anders als Sigmund Freud, der ja lediglich eine „Ermäßigung“ der Neurose anstrebte, entwickelte Nietzsche keine Therapiemethode und gründete keine Schule durch „Lehranalyse“ der Schüler. Allerdings verkündete er eine prophetische Schau, die sich von der Freudschen Welt wie Tag und Nacht unterschied.

Das Motiv der Sonnenanbetung ist gleich zu Beginn des „Zarathustra“ präsent, in dem sich der Held mit der untergehenden Sonne identifiziert, um der „Unterwelt“ Licht zu bringen:

„Als Zarathustra dreißig Jahre alt war, verließ er seine Heimat und den See seiner Heimat und ging in das Gebirge. Hier genoß er seines Geistes und seiner Einsamkeit und wurde dessen zehn Jahre nicht müde. Endlich aber verwandelte sich sein Herz, – und eines Morgens stand er mit der Morgenröte auf, trat vor die Sonne hin und sprach zu ihr also:

»Du großes Gestirn! Was wäre dein Glück, wenn du nicht Die hättest, welchen du leuchtest!

Zehn Jahre kamst du hier herauf zu meiner Höhle: du würdest deines Lichtes und dieses Weges satt geworden sein, ohne mich, meinen Adler und meine Schlange.

[…]

Ich möchte verschenken und austeilen, bis die Weisen unter den Menschen wieder einmal ihrer Torheit und die Armen wieder einmal ihres Reichtums froh geworden sind.

Dazu muß ich in die Tiefe steigen: wie du des Abends tust, wenn du hinter das Meer gehst und noch der Unterwelt Licht bringst, du überreiches Gestirn!

Ich muß, gleich dir, untergehen, wie die Menschen es nennen, zu denen ich hinab will.“

Nietzsches Werk wurde um 1900 zu einem wissenschafts- und kulturhistorischen Kristallisationspunkt par excellence, der mächtig auf die Lebensreformbewegung ausstrahlte. Gerade deren Idee der Schaffung eines neuen Menschen erhielt von Nietzsche kräftige Impulse.


[1] Knipper, 2001 / 2003. [2] Roelcke, 1999, S. 138-172. [3] http://de.wikipedia.org/wiki/Kultur (12.10.2011) [4] J. P. Frank, 1804, S. 878. [5] Kerbs / Reulecke (Hg.), 1998. [